C D s
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NEUES
AUS
DER
MUSIKWELT
JAZZ
Vijay Iyer
MUTATIONS
ECM/Universal CD______________________(60}
Künstler haben viele Gesichter. Und
wenn Vijay Iyer, einer der wichtigs-
ten heutigen Jazzpianisten, jetzt
mit „Mutations“ eine neue CD ver-
öffentlicht, so deutet schon der Ti-
tel auf eine bisher unentdeckte Sei-
te von ihm hin. Iyer schrieb das
kammermusikalische Stück bereits
2005, modulierte es in einigen Auf-
führungen. Eine Überraschung also.
Denn was wir bisher von ihm kann-
ten, war in seiner Wucht und Direkt-
heit eine an Thelonious Monk erin-
nernde Kompromisslosigkeit, die
sich bis in die Anschlagskultur nie-
derschlug. lyers Solo- und Trioauf-
nahmen orientierten sich eindeutig
an afroamerikanischen Vorbildern.
Und nun? Ein Streichquartett.
Sparsam eingesetzte elektroni-
sche Effekte. Vor allem aber ein
Klavier, dessen Töne auf einmal
mit dem Raum spielen. Iyer wen-
det sich hier eindeutig der westli-
chen Kunstmusik zu, übt Introspek-
tion. Fragil erscheinen in dem zehn-
sätzigen „Mutations“ die Streicher,
setzen behutsam repetitive Figu-
ren, spinnen so einen Raum, in den
sich das Klavier einfügt. Das erin-
nert in Struktur und Faktur an Steve
Reich, aber auch an Gavin Bryars.
Ist aber weniger streng.
So eindeutig Iyers Neudefini-
tion übrigens ausfallen mag, so
wenig überraschend ist sie für ei-
nen scheuklappenlosen Künstler.
Was allerdings aus dem vor Ener-
gie strotzenden Vijay Iyer Trio wird,
einer Formation, die die Szene seit
ein paar Jahren kräftig durcheinan-
derwirbelt, bleibt abzuwarten. Im-
merhin hat dieses Dreiergespann
mit wenigen Aufnahmen schon jetzt
einen deutlichen Fußabdruck in der
Kartografie der jüngeren Jazzge-
schichte hinterlassen. Eines ist si-
cher: Vijay Iyer hat das Zeug uns
wieder und wieder zu überraschen.
Seit einiger Zeit arbeitet er sogar
mit dem Rapper Mike Ladd zusam-
men. Es bleibt spannend!
Tilman Urbach
MUSIK ★
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KLANG ★
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A udiophile Vinyl-R eihe
ECM startet neue Reihe mit analogen
Schätzen aus dem Archiv in vorbildlicher Qualität
N
ach zehn Minuten scheint man sie vor sich zu se-
hen: Cecil Taylor und Keith Jarrett, wie sie abheben
und gemeinsam den Flügel in einer Spelunke in Kap-
stadt zum Glühen bringen. Ist das noch Gospel oder pu-
rer Wahnsinn? African Folk oder Hymne der Verdamm-
ten? Es kriecht unter die Haut. Es weckt alle Sinne. Es
ist zum Heulen schön. Doch es sind weder Cecil Tay-
lor noch Keith Jarrett, die das strahlende Klanggewitter
entfachen. Wir befinden uns auch nicht in den Town-
ships der Apartheid. Und es sind auch nicht zwei Pia-
nisten, die den Flügel bearbeiten. Es ist Dollar Brand,
der sich kurz zuvor in Abdullah Ibrahim umgetauft
hatte, der im Oktober 1969 das Jazzhus Montmartre
in Kopenhagen mit unglaublicher Energie und Virtuo-
sität zum Bersten bringt.
„African Piano“ heißt die ECM-Produktion aus dem
Jahre 1973. Und sie ist die Perle unter den feinen Stü-
cken, die Manfred Eicher zum Start einer neuen au-
diophilen Vinyl-Reihe herausgefischt hat. Kom-
merzielle Gesichtspunkte kön-
nen es nicht gewesen sein, die
die Auswahl der ersten sieben
Scheiben bestimmt haben. So
dürften selbst für ECM-Fans ei-
nige Trouvaillen dabei sein.
Glanzpunkt
ist
zw eifels-
ohne „Arbour Zena“,
das Streichorchester-
S A M
werk Keith Jarretts,
eingespielt 1976 mit
dem
Radio-Sinfonie-
orchester Stuttgart un-
ter Leitung von Mladen
Gutesha. Charlie Haden
am Bass und Jan Gar-
barek am Tenor- und So-
pransaxofon geben den Stücken ein warmes Funda-
ment und leuchtende Strahlkraft. Jarrett hält sich mit
seinen Motiven auffallend zurück und überlässt den
Streichern viel Luft zur atmosphärischen Verdichtung.
Und es gibt weitere Vinyl-Alben. So bringt uns
„Five Years Later“ Ralph Towner und John Abercrombie
im entspannten Zwiegespräch von 1982.
Der große Dirigent und Musikdirektor Dennis Russell
Davies widmete sich 1977 der Komposition „Ritual“
von Keith Jarrett, sozusagen als Ehrenbezeugung. Das
Plattencover führte damals leider schon zur Verwir-
rung. Denn Jarrett spielt auf dieser Scheibe nicht mit.
Für mich ist diese Produktion vor allem ein Beleg dafür,
dass der Komponist Jarrett dem großartigen Improvi-
sator Jarrett nicht das Wasser reichen kann.
Sam Rivers, der Saxofonist und Flötist, der 1964
nur ein kurzes Gastspiel mit Miles Davis in Japan
hatte, versammelte 1979 den Posaunisten George
Lewis, den Bassisten Dave Holland und den Schlag-
zeuger Thurman Barker zu einem Funken schlagenden,
streckenweise recht freien Austausch unter Gleichen.
Ein Rendezvouz auf höchstem Niveau.
Auch die Miroslav Vitous Group aus dem Jahre 1980
kann man schwerlich unter „Easy listening“ einord-
nen. Der tschechische Bassist, Saxofonist John Sur-
man, Pianist Kenny Kirkland und Drummer Jon Chris-
tensen durchschreiten kammermusikalische Räume
mit souveränem Atem.
Spätestens bei Gary Burtons „Music By Michael
Gibbs“ muss an das Vermarktungs-Label der neuen
ECM-Reihe erinnert werden: 180 g Audiophile High
Quality Pressing. Ich gebe zu, meine Erfahrungen mit
„Audiophilen“ sind gespalten. Nicht selten kommen
mir knisternde, statisch extrem aufgeladene und wel-
lige Scheiben unter, die obendrein im Klangvergleich
mit den alten Pressungen nur müde klingen.
Während ECM-Boss Manfred Eicher mir noch
vor wenigen Jahren sagte,
ich
solle
ihm
mit
Vinyl vom Hals bleiben, scheint er mittlerweile Gefal-
len am schwarzen Sound
zu finden. Jedenfalls lässt sich dies an der
hervorragenden Qualität der neuen Alben ablesen.
Alle Stücke wurden von den analogen Tonbändern ge-
mastert und klingen dynamischer und frischer denn
je. Das Vinyl läuft extrem oberflächengeräuscharm,
liegt völlig plan und scheint fast antistatisch zu sein.
Nicht nur Gary Burtons Vibrafon kommt dabei un-
glaublich sauber und präsent 'rüber. Nichts Verhan-
genes, nichts Verschliffenes. Die klangliche Balance
ist vom Feinsten. Ein Klangbild, das locker mit Refe-
renz-CD-Playern und -Streamern mithalten kann oder
es sogar übertrifft. Das nennt sich mit Recht audiophil.
Wir dürfen auf weitere Fundstücke aus dem ECM-Ar-
chiv gespannt sein.
ReinerH. Nitschke
Abdullah Ibrahim:
African Piano;
Keith Jarrett:
Arbour
Zena;
Ralph Towner, John Abercrombie:
Five Years
Later;
Keith Jarrett:
Ritual;
Sam Rivers:
Contrasts;
Miroslav Vitous Group:
Miroslav Vitous Group;
Gary
Burton:
Seven Songs For Quartet And Chamber
Orchestra
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
STEREO 4/2014 131